Wir steigen wieder am Olympiapark aus. Ich bin schon leicht misstrauisch. Tatsächlich, da sitzen sie wieder alle. Ich schleiche an Mamas Seite zum Treffpunkt. In meinen Gliedern ist Blei. Ich kann kein "Sitz" bei der Begrüßung, ich schaue Mama nur verständnislos an. Warum sind wir hier? Warum bin ich hier? Dieses Training tut mir eindeutig nicht gut. Gestern war ich mit Mama spazieren. Eine Katze läuft vor uns über den Weg. Ich setze schon an, um sie auf den nächsten Baum zu jagen, da höre ich Mamas Stimme: Nala, Fuß. Und wisst Ihr was? Ich gehe artig Fuß! Ihr dürft Pussy zu mir sagen. Dieser Kurs macht mich zu einer KATZEN-Versteherin... Ich bin bis tief in meine Hundemark hinein erschüttert.
Gipsbein und Bus-Sprint im Olympiapark, München
Die Stunden beginnen also wirklich immer mit dem Schlimmsten, der Begrüßung der anderen. Heute kann ich das nicht. Selbst als die Begrüßung vorbei ist, kann ich nicht neben Mama sitzen -nicht mal das Stück Wiener kann mich locken, neben ihr Platz zu nehmen. Ich starre entgegengesetzt -wie immer!
Wir beginnen die Kursstunde mit einer Rückruf-Übung, das bedeutet erstmal Freilauf für alle. Ich bleibe bei Mama -wie immer. Dann üben wir wieder Fuß zu gehen. Aber was ist das denn? Mama sprintet plötzlich los, als wäre der Allmächtige selbst hinter ihr her. Dabei schlägt sie Haken wie ein Hase. Ich muss ganz schön aufpassen, damit ich sie nicht verliere, denn irgendwas scheint mit ihr ja nicht zu stimmen. Und siehe da, plötzlich wird sie gaaaanz langsam und bleibt schließlich stehen. Ich stehe neben ihr und schaue zu ihr hoch. Da hagelt es Wiener auf mich herab. Super! Ich habe es wohl richtig gemacht! Ich bin immer bei Mama geblieben. Ich lerne, dass es ja schließlich mal sein kann, dass wir den Bus bekommen müssen, dann muss ich ja auch schnell rennen. Ich muss aber auch langsam gehen, falls Mama mal ein Gipsbein hat. Also letzteres wäre ja ganz schön langweilig, dann doch lieber täglich zu spät zum Bus sprinten.
Da liegt ein Käsebrot auf dem Weg
Die Stunde beginnt wirklich Spaß zu machen. Es kommen auch immer mal andere Hunde unseres Weges, zum Glück haben sie mit mir einen diensteifrigen Hütehund, und ich kann das Rudel verteidigen -obwohl mir von den anderen kein einziger zu Hilfe kommt. Nein, ich kriege sogar noch Ärger dafür. Die sollten mir dankbar sein. Ist schließlich keinem was passiert, oder?
Aber hoppla, was ist denn da plötzlich für ein Duft in der Luft? Käsebrot! Liegt einfach da. Mitten auf dem Weg! Mitten im Olympiapark. Was für ein Glück. Kollege Speedy schnuppert daran, nimmt es aber nicht. Frauchen hat Nein gesagt. Bei Jacky und Chanouk dasselbe. Ist das womöglich schlecht? Also da ich tue auch mal lieber so, als läge da ein unmoralisches Angebot am Weg und wende mich angewidert ab.
Und dann kommt der Mann. Er läuft mitten durch uns alle hindurch. Er läuft -zwölf Hundeaugen starren ihm fassungslos hinterher- direkt auf das Brot zu. Er läuft drüber. Er blickt gar nicht nach unten. Oh je, die Trainerin sagte doch vorhin, das sei ihr Abendbrot. Der Mann geht weiter. Das Käsebrot ist unversehrt. Er hat nicht bemerkt, dass er nahe dran war ein wichtiges Trainingsutensil zu zertrampeln. Und vor allem dem letzten Hund die Übung zu vermasseln. Selbiger schnuppert gerade etwas zu begeistert, Frauchen stellt deshalb schnell den Stiefel auf das Brot, doch er kann ein Stückchen davon ergattern. Wir anderen halten den Atem an, starren sabbernd auf das Käsebrot. Und wisst Ihr was passiert: NICHTS. Sie hat sich das Maul noch lange geleckt. Wir sind fassungslos. Und neidisch. Vom Katzen-Versteher zum Käsebrot-Versteher... Wo führt das nur alles noch hin?
Dr. Stefan Blessing (Samstag, 22 Januar 2022 23:10)
Schöne Geschichte. Viele Grüße an Nala.